Erstmals konnten sie an einem einwöchigen Berufspraktikum teilnehmen und die Arbeitswelt kennen lernen.Und sie waren mit Begeisterung dabei: egal, ob sie in der Baumschule Friedrich Eberhardt in Möttingen mit dem Eintopfen oder im Zentrum für Pferdegestützte Pädagogik und Therapie (PPT) in Enkingen mit dem Ausmisten der Ställe beschäftigt waren oder ob sie in St. Albert in Reimlingen bei der Zimmerreinigung halfen. Aber auch die Betriebe waren mit ihren neuen Hilfskräften sehr zufrieden: „Die arbeiten wirklich toll, gute Leute haben wir hier“, sagen Anneliese Strobel und Susanne Huggenberger von der Möttinger Gärtnerei und auch Renate Jurklies, Leiterin des PPT-Zentrums, ist für ihre Praktikanten Sonja und Franz voll des Lobes: „Sie haben uns ganz klasse geholfen, beim Stallausmisten und beim Einstreuen von neuem Sägemehl.“Entsprechend zufrieden war auch Wolfgang Daubmeier, Sonderschullehrer, der dieses Praktikum begleitete: „Das war einmal ein Versuchsballon und die Erfahrungen waren bisher gut.“ Im Rahmen einer Art „Werkstufenreform“ wolle man derzeit in der Möttinger Schule dahin wirken, dass dem Faktor Arbeit mehr Bedeutung beigemessen werde, erklärte er die Hintergründe für diese Initiative.Die Hermann-Keßler-Schule werde gegenwärtig von 126 Schülerinnen und Schülern im Alter von 6 bis 20 Jahren besucht. Es ist eine Schule für geistig Behinderte, was ein recht weit gefasster Begriff ist, hinter dem sich viele Formen und Abstufungen der Behinderung verbergen: „Einige wenige Schüler sind reine Pflegefälle und dann gibt es viele Zwischenstufen bis hin zu Schülern, die an der Grenze zur Lernbehinderung stehen.“ In der Mehrheit würden die Sonderschüler nicht in der Lage sein, in der freien Wirtschaft zu arbeiten, „aber es gibt Ausnahmen und das wollen wir jetzt ein bisschen herauskitzeln“.Die acht Praktikanten gehören zu den guten Schülern, sie können Lesen, Schreiben und beherrschen auch die Grundrechenarten. „Unser großer Traum wäre natürlich, den einen oder die andere einmal in der freien Wirtschaft unterbringen zu können. Aber wir sind auch Realisten und die wirtschaftliche Lage ist zurzeit ziemlich schwierig.“ Es müssten natürlich auch geeignete Betriebe sein, in denen die Schüler „mitgenommen“ würden, so dass sie sich dort wohlfühlen.In den 24 Jahren, die er in Möttingen tätig sei, fuhr Daubmeier fort, könne er sich an maximal acht bis zehn Fälle erinnern, wo ein Schüler eine Stelle in der freien Wirtschaft gefunden habe. Und selbst das sei bereits etliche Jahre her. Im Regelfall würden die Schüler später in den Behinderten-Werkstätten arbeiten. Entsprechend habe man den Praktikanten keine allzu großen Hoffnungen gemacht.Für die Schüler selbst sei es ein großer Wunsch eine bezahlte Arbeit zu finden. Dies gelte insbesondere für jene, die an der Grenze zur Lernbehinderung stünden: „Wenn man selber merkt, ich kann nicht alles, was die anderen können, mir bleiben im Leben gewisse Tore verschlossen, dann ist das schon teilweise ein psychisches Problem.“ Hier würde eine Beschäftigung in der freien Wirtschaft natürlich ungemein das Selbstwertgefühl heben, davon ist Daubmeier überzeugt.Aber das Praktikum soll den Schülern auch vor Augen führen, dass die Arbeit nicht nur reines Vergnügen sei und man sich hier auch durchbeißen müsse. Der Lehrer deutete auf die vier Schüler Phoebe, Brigitta, Sven und Ayhan, die bei recht empfindlicher Kälte in der Gärtnerei fleißig beim Eintopfen waren. Aber trotz der Kälte, erklärten sie gegenüber unserer Zeitung ein wenig schlotternd, dass ihnen diese Arbeit großen Spaß mache und sie sehr gerne hier auch länger arbeiten wollten.Für die Inhaberin des Reitstalls in Enkingen, Renate Jurklies, war die Erfahrung mit Sonja und Franz so positiv, dass sie in Erwägung zieht, einen Behindertenarbeitsplatz einzurichten. „Das wäre natürlich ein großer Erfolg“, freut sich Daubmeier. Der Versuchsballon, Berufspraktikum „fliegt jetzt“. 29.03.2003
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